Aljechin: Meine besten Partien 1908-1923
Reihe: "Meilensteine des Schach" Band 08
Alexander Aljechin, Schachweltmeister von 1927 bis 1935 und von 1937 bis zu seinem Tode 1946, zählt aufgrund seiner überragenden Schachkunst zu den größten und meist bewunderten Spielern der Schachgeschichte. Nachdem er die Schachkrone im Kampf gegen den übermächtig scheinenden Capablanca errungen hatte, beherrschte er die Turnierszene bis Mitte der 1930er Jahre fast nach Belieben. Heute gilt Aljechin als Pionier eines universellen Spielstils.
Aljechins Partien offenbaren eine überschäumende schöpferische Phantasie und einen seltenen Reichtum an originellen Ideen. Fulminante Attacken auf dem Brett tauchen scheinbar aus dem Nichts auf, aber sie sind positionell wohl begründet und vorbereitet. Aljechin verstand es, flexible und strategisch vorteilhafte Stellungen herbeizuführen, die ein merkliches Angriffspotenzial besitzen. Dieses pflegte der große Kombinationskünstler meisterhaft auszubauen und zu nutzen.
Aljechins Genialität manifestiert sich auch in seinem literarischen Werk. Die vorliegende Auswahl von 100 exzellenten Partien aus seiner ersten Schaffensperiode halten viele Experten für sein bestes Buch, und es gilt als mustergültig in der Kunst der Kommentierung: Strategische Konzepte und verwickelte taktische Situationen werden prägnant und klar erläutert und damit für den Leser verständlich.
Die Partiesammlung war erstmals 1927 im Vorfeld des WM-Kampfes erschienen, somit diente diese Arbeit Aljechin auch der Vorbereitung auf das wichtigste Match seines Lebens. Das Buch ist ein unvergänglicher Klassiker geblieben, der zur Pflichtlektüre jedes aufstrebenden Schachspielers gehört.
252 Seiten, kartoniert, Joachim Beyer Verlag
Rezension:
"Meine besten Partien 1908 - 1923" von Alexander Aljechin wird geschichtlich als eines der besten jemals geschriebenen Partienbücher angesehen. Das Werk ist jüngst in seiner 6. Auflage neu erschienen, als Imprint des Schachverlag Ullrich im Joachim Beyer Verlag. Für eine neue Herausgabe großer historischer Werke hat der Verlag die Serie "Meilensteine des Schach" aus der Taufe gehoben, in der nun das hier besprochene Werk neu herausgegeben worden ist.
Um den Leser die Aura der Originalausgabe erleben zu lassen, hat der Verlag das historische Schriftbild erhalten. In einem neuen Gewand erscheinen nur die Diagramme, die im Buch übrigens als Stellungsbilder bezeichnet werden. Dies ist ein Beispiel für die Entwicklung unserer Sprache in der Zeit seit dem ersten Erscheinen des Buches bis heute. Sprache und Schriftbild zeigen sich als harmonische Einheit und sorgen so dafür, dass der Leser sich in alte Zeiten eintauchen fühlt.
Aljechin hat in seiner Karriere eine immens hohe Zahl an Partien gespielt und dabei eine fast unglaubliche Erfolgsquote erreicht. Zahlen dazu findet der Leser ebenfalls in "Meine besten Partien 1908 - 1923", bis zu seinem Todesjahr 1946 aufgeführt. Dies zeigt schon, dass dieses Werk über die Auflagen hinweg Ergänzungen erfahren haben muss. So ist es auch, und diese Ergänzungen sind heute selbst schon wieder als historische Dokumente anzusehen. Dazu später noch etwas mehr. Zunächst einmal zu dem, weshalb es dieses Werk überhaupt gibt, den besten Partien Aljechins aus der Epoche 1908 bis 1923.
Aljechin hat 100 Partien aus dieser Zeit, in die der 1. Weltkrieg fiel und seine Karriere unterbrach, als seine besten ausgewählt und meisterlich kommentiert. Unter "meisterlich" verstehe ich eine Kommentierung aus Texten und Analysen, die vor dem Leser die Geheimnisse der Partie ausbreitet, auch soweit diese sich als Möglichkeiten, Drohungen etc. jenseits der tatsächlich ausgeführten Partiezüge verstecken, und die dabei höchst unterhaltsam ist. Es bereitet wirklich Freude, die Partien nachzuspielen und über die Kommentare auf Entdeckungsreise zu gehen. Ich habe mir mehrere Partien gezielt vorgenommen, die mir aufgrund der Angaben dazu als besonders interessant erschienen, um mir ein fundiertes Urteil erlauben zu können. Mein persönlicher Favorit ist übrigens Partie Nr. 97. Diese ist von Aljechin und Sämisch geführt worden, beide Spieler haben blind gespielt. Aljechin hat seine Spielführung mit einem Opfer der Dame garniert, um dann eine den Sieg bringende Kombination spielen zu können. Es ist fantastisch zu sehen, was beide Spieler zu leisten vermochten, eben ohne das Brett dabei zu sehen. Vermutlich würden 99% von uns heutigen Spielern diese Möglichkeiten in der Partie auch sehend nicht erkennen, sodass das Nachspielen ganz klar so etwas wie Ehrfurcht bei mir ausgelöst hat.
Kombinationen sind oft das Salz in der Suppe der im Buch abgebildeten Partien. Regelmäßig macht Aljechin besonders darauf aufmerksam. Taktische Kniffe, strategische Erwägungen, die Beschreibung von Stellungseinschätzungen sind weitere Elemente der Kommentierung, die Aljechin einsetzt. Nun könnte der Vorbehalt auftauchen, dass sich hinsichtlich der Schachtheorie, von der Einschätzung bestimmter Eröffnungen bis hin zur allgemeinen Strategie seit der damaligen Zeit so viel geändert hat, dass diese Ausführungen kaum noch Wert haben oder sogar schaden können. Das sehe ich nicht so. Immerhin denken wir auch nicht gleich mit der Logik eines William von Baskerville, nur weil wir "Der Name der Rose" von Umberto Eco gelesen haben.
Zu den späteren Ergänzungen des Urwerkes gehört auch ein Beitrag von Kurt Richter mit dem Titel "Aljechins Eröffnungsbehandlung in moderner Sicht". Darin zeigt der 1969 verstorbene bekannte deutsche Spieler und Publizist in wesentlichen Beispielen auf, welche Entwicklung die Eröffnungstheorie seit dem ersten Erscheinen der Partiensammlung bis eben zum Zeitpunkt seines Beitrags genommen hatte. Seitdem aber ist erneut wieder rund ein halbes Jahrhundert vergangen und die Zeit ist auch wieder über diese Aussagen hinweggegangen, zumindest mit neuen und abweichenden Erkenntnissen in Teilen.
"Meine besten Partien 1908 - 1923" ist ein Werk, das eine ausgezeichnete Unterhaltung erlaubt. Und es lässt den Leser auch den nostalgische Gefühle provozierenden Blick in eine aufregende Zeit in der Geschichte des Schachspiels nehmen.
Abschließend noch ein kurzer Hinweis auf den Aufbau des Werkes: Nach einer Einleitung mit dem Titel "Aljechins Schaffen" aus der Feder von Dr. Savielly Tartakower folgen drei Teile mit den Partien. Diese tragen die folgenden Überschriften:
I. Turnierspiele
II. Wettspiele, Gelegenheitspartien durch Briefwechsel, Bild- oder Simultanspiele usw.
III. Wettpartien, Gastspiele, Beratungspartien, Simultan- und Blindlingspartien.
Eine Eröffnungstabelle, mehrere Statistiken sowie der oben beschriebene Beitrag von Kurt Richter schließen das Werk ab.
Fazit: "Meine besten Partien 1908 - 1923" ist ein weiteres wichtiges historisches Buch, das über eine Neuauflage in der Buchreihe "Meilensteine des Schach" erhalten und neuen Lesern zugänglich gemacht wird. Der Text ist optisch im Stil der damaligen Zeit erhalten geblieben. Die Kommentierung ist sehr unterhaltsam und lässt den Leser tief in die Partien eindringen. "Meine besten Partien 1908 - 1923" kann ich als ausgezeichnete Schachlektüre sehr zum Kauf empfehlen.
Uwe Bekemann, Januar 2015
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